Da ich in Straßburg wohne, habe ich begonnen, mich etwas mit elsaß-lothringischer Geschichte zu beschäftigen, und bin auf ein ganz interessantes Detail gestoßen. Als 1871 Elsaß-Lothringen vom Deutschen Reich annektiert wurde, stellte sich die Frage nach dem rechtlichen Status der Elsaß-Lothringer. Bisher waren sie Franzosen gewesen, jetzt sollten sie auf einmal Deutsche sein. Hier stellte sich nun das Problem, daß es eine deutsche Staatsangehörigkeit 1871 überhaupt noch nicht gab. Wie erinnerlich ist das Deutsche Reich selbst ja erst 1871 gegründet worden, die Frage einer spezifisch deutschen Staatsbürgerschaft hat man damals erst einmal vertagt. Die Bewohner des Deutschen Reichs behielten vorerst einfach ihre alte – preußische, badische, bayerische etc. – Staatsbürgerschaft, die einzelnen Bundesstaaten verpflichteten sich lediglich, Bürger aus den anderen deutschen Bundesstaaten rechtlich den eigenen gleichzustellen. Bei den Elsaß-Lothringern ging das aber nicht, da Elsaß-Lothringen keiner der deutschen Bundesstaaten war; rechtlich war es vielmehr „Reichsland“, gemeinschaftlicher Besitz aller deutschen Bundesstaaten. Eine eigene „elsaß-lothringische Staatbürgerschaft“ war damit nicht möglich. Da man aber nun die Elsaß-Lothringer juristisch irgendwie erfassen mußte, waren sie die ersten – und lange die einzigen – die eine spezifisch „deutsche“ Staatsbürgerschaft erhielten. Bis 1913, dem Jahr, in dem die allgemeine deutsche Staatsbürgerschaft eingeführt wurde, waren sie die einzigen „richtigen“ Deutschen, die anderen waren lediglich Preußen, Bayern, Württemberger etc. Und daher wurden speziell die Elsaß-Lothringer im damaligen Sprachgebrauch „Reichsbürger“ genannt. Anders als die übrigen Deutschen, die primär Angehörige ihrer alten Staaten und erst sekundär Deutsche waren, waren die Elsaß-Lothringer primär Deutsche, primär Bürger des „Reichs“ und nicht seiner Bundesstaaten. Dieser Zustand ist allerdings von den Elsaß-Lothringern selbst keineswegs aus Auszeichnung oder Vorrecht, sondern – sehr mit Recht – als Diskriminierung verstanden worden. In ihrem eigenen und auch im allgemeinen Verständnis der Zeitgenossen, waren sie als „Reichsbürger“ sozusagen Deutsche zweiter Klasse, die man vielfach als nicht ganz gleichwertig ansah.
Ich vermute, daß eine ähnliche Regelung für deutsche Auswanderer in die Deutschen Kolonien galt, die ja als „Schutzgebiete“ des Deutschen Reichs galten. Darüber habe ich allerdings nichts gefunden.
Immerhin, das sollte man doch festhalten: „Reichsbürger“ zu sein, war keineswegs ein Vorrecht, sondern ein Stigma. Wer also meint, er müsse sich heute als „Reichsbürger“ auftun, der sollte wissen, worauf er sich einläßt.
dazu fällt spontan das wort „ausbürgern“ ein.
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Die könnten ja Franzosen werden. lol.
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willst du sie ins land lassen? lach
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Ich nicht. Aber die Franzosen vielleicht? lol.
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Sagen Sie, Herr Weiß, wo kann man eigentlich noch den Rest der Textreihe „Die Deutschen und ihre Nation“ finden ? Ihren alten Blog scheint es ja nicht mehr zu geben, und um Franzosen die deutsche Geschichte zu erklären, bieten sich Ihre Texte eigentlich immer prima an.
Gruß von Exildeutschem zu Exildeutschem aus Bisanz
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Ich habe hier meinen alten Blog als pdf-Datei verlinkt. Da kann man das alles nachlesen.
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